Von neuen Käufern und frischen Birnen
Selfmade-Märkte wachsen – bedeutet das schon ein Konsumentenumdenken?
Man hört ja von Istanbul-Besuchern die verrücktesten Sachen. Und was die Satt-Gesehenen und die Abgefeierten vom Bosporus mit nach Hause schleppen, reicht von Pfeffermühlen bis Schlüsselanhängerkitsch. Andere handeln sich eine Urlaubsliebe ein, dicken Liebeskummer inklusive. Und so ein bisschen übriggebliebene Urlaubsliebe steckt auch im Dresdner Schmucklabel Motley Pottery. Julia Laaß hatte viel von Istanbul gehört, hat sich bezaubern lassen, ist in die Stadt am Marmarameer eingetaucht und hat in den großen Moscheen das Jahrhunderte alte, türkische Fliesenkunsthandwerk ins Herz geschlossen. Aus den Fotos, die dort vom türkischen Kunsthandwerk enstanden sind, bestehen die Motive ihrer Schmuckkollektion. Die vertreibt sie, nicht sehr überraschend, online über das Self-Made-Portal DaWanda. Dort befindet sie sich mit 130.000 anderen angemeldeten Bastlern und Bastlerinnen in bester und vor allem umfangreicher Gesellschaft.
Von wegen Wöchnerinnen und Großmütter
Das, was ich vor ein paar Jahren noch in die Sparte „Omas lustiges Häkelstübchen“ oder „hormonvertäumt im Baby-Jahr“ gesteckt habe, wächst, findet Anhänger (und damit Käufer) – ein Erfolgsmodell, ein geklautes. Denn beim großen Bruder Etsy (12 Millionen Kunden) gibt es neben individualisierten und handgefertigten Produkten zu besseren Produzentenkonditionen auch Künstlerbedarf und „Vintage“-Produkte zu erwerben. Individuelle Produkte für jedermann, Einzelstücke zu erschwinglichen Preisen. Exklusivität ist hip und vor allen Dingen dank Internet leicht zu bekommen.
Die großen Selfmade-Verkaufsmessen wie der Handgemacht Kreativmarkt und der Hand MaDDe Markt im Schlachthof oder auch das mittlerweile fest etablierte T-Shirt Festival in der Scheune haben es vorgemacht: Das Interesse ist groß. Die Online-Shops boomen. Auch der von Julia: „Die ersten zwei Monate liefen so lalalalla und dann ging es auf einmal bergauf. Meine Verkäufe steigern sich von Monat zu Monat.“ Die gelernte Erzieherin hat sich mittlerweile mit ihrem Label selbständig gemacht. In Kürze erscheint auch ihr neuer Shop, ein Fashion-Label.
Normale Berufstätige werden also Einzelunternehmer á la Selbstverwirklichung. Von Gründergeist in der Arena der bastelwütigen Babypauslerinnen kann nicht die Rede sein. Auf den E-Commerce-Plattformen tummeln sich Berufskünstler, studierte Designer, Schneiderinnen und Handwerkerinnen. Mitten unter ihnen: schubLaden-Besitzerin Antje Schöne aus Dresden. Die Mitzwanzigerin sieht trotz der zunehmenden Zahl von Selfmade-Angeboten das besondere: „Nicht jeder kann alles, hat alle Kompetenzen und handwerklichen Fähigkeiten“, sagt sie – auch wenn das DaWanda so ein wenig vermittele. Die Einzelunternehmerin ist seit Oktober 2012 mit ihrem Laden in den Kunsthofpassagen ansässig. Sie fertigt und verkauft vorrangig Geschenkartikel aus Holz. Auch Produkte anderer Selbermacher führt ihr Laden – erfolgreich.
Vom billig gefertigten Massenprodukt zurück zur Achtung der Urheberschaft?
Lässt der neue Erfolg dieser Kleinproduzenten schon Schlüsse auf ein Umdenken der Konsumenten und Konsumentinnen zu? Oder ist das Ganze nur eine vorrübergehende Erfolgserscheinung? Was ist dran am Hype um individualisierte Produkte? Aline Niedrich von Etsy Berlin glaubt an Käufersouveränität und verweist auf die Motivation der Etsy-Macher: „Etsy wurde 2005 gegründet, um einen Marktplatz zu schaffen, der vor allem die Urheberschaft von Kunst und Design achtet. Es geht darum zu zeigen, dass Wirtschaft auch anders geht.“ Tatsache: Auf den E-Commerce-Plattformen treten Konsumenten direkt mit Herstellern in Kontakt, ohne über dritte Mittelsmänner (die normalerweise meist auch den größeren Gewinn haben) Ware oder Kunst zu kaufen. Nicht nur die Herkunft des Produktes bleibt transparent, sondern auch die Schaffensmotivation des Produzenten. Die Community sorgt außerdem dafür, Billigware herauszufiltern und unlautere Wettbewerber mittels Anzeige von der Plattform auszuschließen.
„Natürlich gibt es auch qualitativ Schlechtes,“ fügt Etsy-Verkäuferin Aline noch hinzu, „das is ja wie auf einem richtigen Wochenmarkt – da gibt es schöne, frische Birnen und ein anderer verkauft olle, angeschimmelte.“ Dafür haben Käufer ähnlich wie bei ebay die Möglichkeit, ein Feedback zum erworbenen Produkt abzugeben. „Die Shops halten sich dann nicht lange, wenn sich die ersten Kunden beschweren.“ Antje Schöne ist ebenfalls der festen Überzeugung, dass die Selfmade-Szene nicht einbrechen wird: „Die Menschen setzen wieder auf Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein, Individualität und kochen Marmelade wieder selber.“ Der Markt reguliere sich wie auch überall sonst selber, „wenn Leute das verkaufen wollen, müssen sie gut sein, Nischen finden, gute Ideen haben,“ meint Antje, auch wenn bestimmte Bereiche schon überschwemmt seien.
Und da liegt die Krux. Wenn man auf einem Self-Made-Markt am 100. Stand vorbeigeht, der süße selbstgenähte Handy-Taschen aus bunt bedruckten Stoffen verkauft, ist man sich nicht mehr sicher, ob man nun auf einem Self-Made-Markt oder doch in der Prager Straße steht, wo sich sehr ähnliche Produkte aneinander reihen. Das vordergründige Verkaufsargument der Individualität bleibt ganz schnell auf der Strecke. Und wie fair ist es, ein Produkt zu erwerben, bei dem der Designer gut bezahlt wird, dessen Materialen aber vielleicht unter fragwürdigen Umständen entstanden sind, etwa bei Stoffen? Wie weit geht hier die Verantwortung der Etsy- und DaWanda-Shop-Besitzer? Und das in Siegel-Deutschland, wo man fürs gute Gewissen beim Einkaufen nach Stempeln auf Produkten schaut und damit hat sich’s dann?
Kaffeekannen in Penisform? Im Ernst?
Und überhaupt, was braucht man von dem Zeug? Welche Abstrusitäten diese Online-Märkte mitunter hervorbringen, sammelt seit einiger Zeit die Website regretsy.com. Aufgeteilt in Kategorien wie „Bullshit“, „Annoying Descriptions“ oder „Gargabe“ kann man allerlei fragwürdige Werke bewundern. Der beste Teil der Website ist übrigens der, wo Beschwerdeschreiben an regretsy.com zusammengetragen sind: Die Künstler fühlten sich nicht selten, durch die Auflistung ihrer Werke auf den Schlips getreten. Dabei weiß ja jedes Kind, dass es keine schechte Publicity gibt und regretsy eigentlich gelungene PR für die aufgelisteten Produkte betreibt (nicht zuletzt zu sehen unter dem Menüpunkt „Gallery“, unter dem sich regretsy-Fans mit ihren erworbenen Geschmacklosprodukten abbilden). Und mal ehrlich: Eine irdene Kaffeekanne in Penisform und dazu passende lippenförmige Tassen braucht kein Mensch, ist aber der Knaller auf jeder WG-Party.
Trotzdem. Aller Transparenz, Nähe zum Produzenten und Individualität zum Trotz, ist wohl vorläufig nicht davon auszugehen, dass Näherinnen in Bangladesh ihre Arbeitsplätze verlieren. Alles in allem bietet Shopping bei Etsy und Co. aber vor allen Dingen kreative Produkte mit Liebe hergestellt und preislich fair für Produzent und Konsument.
Fotos 1 + 2: Detlef Honigstein
Fotos 3 + 4: Antje Schöne
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